Wir sind überpünktlich. Wie es sich gehört. Eine Stunde vor Abfahrt unseres Zuges stehen wir in der Eingangshalle des Bahnhofs Ernakulam Junction in Kochi. Es ist 22.30 Uhr. An Gleis 1 sehen wir einen ziemlich heruntergekommenen Zug, der auf Passagiere wartet. Zum Glück ist das nicht unserer, denke ich im Vorbeigehen. Wir müssen zu Gleis 3. Dort soll der Poona-Express um 23.30 Uhr losfahren und uns die knapp 700 Kilometer nach Gokarna in den Norden bringen. Ankunftszeit: mittags um 12.30 Uhr. Etwa zehn Euro haben wir für zwei Tickets im Schlafwagen bezahlt. Kann man nicht meckern.

Der Poona-Express, Gleis 3.

Der Poona-Express, Gleis 3.

Als wir über die schmale Brücke die Gleise überqueren und mit unseren Rucksäcken am Gleis 3 ankommen schauen wir verdutzt. An Gleis 3 steht genau das gleiche blaue Modell wie an Gleis 1. Komisch. Ist das unser Zug? Wir schauen uns um. Bahnpersonal suchen wir vergeblich. Was wir nicht wissen: Das wird sich auch in der nächsten Stunde bis zur Abfahrt nicht ändern. Wir laufen zum Wagen S4. Im Zug ist alles finster. Noch 40 Minuten bis zur Abfahrt. Ein israelischer Tourist klärt uns auf. Eine halbe Stunde vor Abfahrt werde der Zug aktiviert, dann sei es leichter und sicherer, seinen Platz im Zug zu finden.
Alles klar. Und tatsächlich, punkt elf Uhr gehen die Lichter an. Wir steigen in den Zug, suchen die Liegen 57 und 58, doch kaum im Zug wollen sogleich auch schon wieder hinaus. Wir müssen uns in der Klasse geirrt haben. Die Schlafkabinen sind nur offene Abteile ohne Türen aber mit vergitterten Fenstern, die sechs modrige und vollkommen verdreckte Pritschen bieten. Wir stolpern wieder hinaus, um unsere zweite Klasse zu suchen, die eigentlich wie die erste sein soll, wie uns der Fahrkartenverkäufer sagte, „exactly the same just without AC but with fan“.

Wir sind leicht erschrocken, als wir draußen auf dem Waggon das Zeichen für die zweite Klasse entdecken. Wir schauen uns um, doch Schaffner oder Zugpersonal gibt es weit und breit nicht. Wir steigen wieder hinein. In unserem „Abteil“ sind die jeweils zwei oberen und zwei unteren Pritschen geöffnet, die mittleren müssen noch aufgeklappt werden. Stauraum für die zwei großen Rucksäcke gibt es nicht. Wollen wir auch gar nicht. Uns ist es lieber, die Rucksäcke bei uns zu haben angesichts der ständig an uns vorbeiziehenden und -glotzenden Massen. Es ist kurz vor Abfahrt und wir fragen uns immer noch, ob wir überhaupt im Poona-Express sitzen. Plötzlich ruckelt es. Ohne Signal oder Ansage fährt der Zug langsam los. Na ja, jetzt ist es sowieso zu spät. Ein junger Mann kommt setzt sich auf Platz Nr. 60. Wir fragen ihn: „Poona-Express?“ Er nickt. Also, Zeit zum Einrichten.

Unser Schlafabteil.

Unser Schlafabteil.

Die Pritschen sauber zu kriegen ist ein heilloses Unterfangen, wie wir schnell merken. Vor allem in der Ritze an der Wand tummeln sich anscheinend ein paar „Kulturen“. Also ziehen wir beide unsere Kapuzenwindjacken an und legen uns „geschützt“ nieder. Der Raum ist mit den arrangierten mittleren Pritschen nicht gerade üppig, aber man kann immerhin den Kopf heben. Wir haben es uns mittlerweile geradezu gemütlich gemacht. Die Beine liegen wunderbar auf unseren großen Rucksäcken auf und die kleinen Backpacks nutzen wir als Kissen. Geht doch. Nur den Gang auf die Toilette will ich mir so oft wie möglich ersparen. Der Geruch und alles andere im kleinen Plumpsklo ist nichts für schwache Nerven. Wellness sieht anders aus. Also heißt es, mit dem Geist die Blase leiten. Leider klappt das bei mir nicht ganz so gut. Im Gegenteil. In der Nacht muss ich tatsächlich dreimal! Nina ist derweil die Coolness in Person, liegt da mit der zugeschnürten Kapuze auf der ausgehöhlten Pritsche als bette sie sich auf einem Boxspring-Bett im Ritz Carlton.

Gemütliche Bettlektüre.

Gemütliche Bettlektüre.

Der Schlaf kommt tatsächlich gegen 2 Uhr. Kurz zuvor sehen wir tatsächlich das erste Mal eine Art Schaffner. Er kontrolliert unser Ticket und bestätigt uns großzügigerweise, dass wir im richtigen Zug sitzen.  Immer wieder wachen wir auf, weil Passagiere zusteigen und auf die oberen Pritschen steigen. Wir lassen uns davon kaum beeindrucken. Ein Griff an die Bauchtasche für Pass und Geld, Check, ob beide Rucksäcke noch da sind und schon wird weitergeschlafen.

Mounir - am nächsten Morgen.

Mounir – am nächsten Morgen.

Nina - am nächsten Morgen.

Nina – am nächsten Morgen.

Um 7 Uhr ist dann Schluss. Es wird wärmer und die vorbeiziehenden lautschreienden Kaffee- und Snackverkäufer machen einen Schlaf unmöglich. Wir verzichten auf Frühstück, essen unseren Kuchen, den die Guesthouse-Besitzer in Kochi für uns gebacken hatten. Noch fünfeinhalb Stunden Zugfahrt. So allmählich hat man sich an die Kojen gewöhnt. Doch da macht mir die Frau gegenüber zu schaffen, die ebenfalls gerade aufgewacht ist. Ohne Unterlass kratzt sie sich am Kopf, mal mit den Fingern, mal mit einem vollkommen dreckigen Tuch. Ich kann nicht hinsehen, die Frau bringt mich mit ihrem Gejucke fast um meinen Verstand. Zwei Stunden dauert das, dann steigt sie glücklicherweise aus. Ich atme auf. Endlich Zeit, in Ruhe, die wunderschöne vorbeiziehende Landschaft zu genießen.

Allmählich rückt die Ankunftszeit näher. Da es keine Ansagen gibt und auch der Schaffner wieder verschwunden ist, ziehen wir gegen 12 Uhr an den Ausgang, um unsere Ankunftsstation, Gokarna Road, nicht zu verpassen. Tatsächlich. Mit einigen Minuten Verspätung hält der Zug schließlich in Gokarna, dem Ort, der so sein soll wie vor 20 Jahren die Strände in Goa. Wir sind gespannt, steigen müde aber voller Vorfreude aus. Zeit für einen neuen Reiseabschnitt – und neue Begegnungen.

Zugfahrt? War da was?

Zugfahrt? War da was?

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