Titika ist durchaus geschäftstüchtig. Bevor es für uns in sein kleines Dorf kurz vor dem Tarangire-Nationalpark geht, sagt er: „Bitte erst zahlen.“ Wir stehen vor dem Geländewagen und ich gebe ihm die Geldscheine. 80 000 Schilling. Zwar hatte Guide Rodin gesagt, dass der Besuch 50 Dollar koste, also umgerechnet 100 000 Schilling, doch für eine halbe Stunde halte ich den reduzierten Betrag für angemessen. Titika leider nicht. Er zählt nach. „Es kostet 100 000“, sagt er auf Englisch. Ich fühle mich ertappt und frage mich, warum eigentlich. Schließlich sind selbst 40 Dollar eine Menge Geld in Tansania. Doch ich verzichte auf eine Grundsatzdiskussion. Außerdem wäre es mir peinlich vor den anderen, um die 20 000 Schilling zu feilschen. Ich zeige mich großzügig und das hat ja auch etwas. Der Massai nimmt die zwei restlichen Scheine wohlwollend entgegen.

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Ich bin mir in diesem Moment unschlüssig, ob es eine gute Idee gewesen ist, hier einen Stopp einzulegen. Nina und ich sind keine Fans von gängigen Touristenattraktionen, schon gar nicht, wenn sich Menschen für Geld erniedrigen wollen. Doch das hier soll anders sein. Letztlich war es mir einleuchtend, dass dieses Urvolk Afrikas, dessen Zahl in Kenia und Tansania zwischen einer halben und einer Million liegen soll, kaum vom Touristenboom rund um die berühmten Nationalparks im Norden des Landes profitiert. Es sind viele andere, die ihren Teil von den riesigen Geldzahlungen der Touristen einstreichen. Die Massai nicht. Sie sind beinahe zu Fremden in ihrem einstigen Land geworden.

Massai sind beinahe Fremde im eigenen Land

Es begann 1959, als die britische Kolonialregierung die Massai aus der Serengeti verbannte, um daraus einen unberührten Nationalpark zu machen. Die Massai sollten im Gegenzug im Gebiet um den Ngorongoro-Krater mit ihren Herden umherziehen. Sie dürfen bis heute selbst im Krater ihre Herden grasen lassen. Doch der Bau vieler Luxusressorts macht ihnen das Leben immer schwerer. Aktuell sollen im Nationalpark der Ngorongoro-Conservation-Area nur noch 40 000 Massai leben. Einst waren es über 70 000. Sie haben keinerlei Recht mehr mitzuentscheiden, was in all den Gebieten passiert, die im Norden über Jahrhunderte zu ihren Weideflächen und Lebensräumen gehörte. Investoren, die die Regierung schmieren, um die Genehmigung für den Bau von Lodges und Hotels zu erhalten, haben das Sagen.

Massai profitieren davon kaum. Sie werden von der Regierung weiterhin kaum beachtet, ihre Sprache ist an Schulen verboten, sie tauchen selbst bei Volkszählungen nicht als eigene Volksgruppe auf. Wenn sie Jobs erhalten, dann nur als Wachmänner, weil sie als ehrlich und kämpferisch gelten. Im Nationalpark des Kraters gibt es zwar mehrere Massai-Dörfer, die regelmäßig Touristen empfangen. Doch das werde von der Regierung kontrolliert, so dass nur wenig Geld bei dem Stamm selbst lande, erklärt uns Guide Rodin. Hier sei das anders. Das Geld geht direkt an die Dorfbewohner.  Sehr direkt wie ich feststelle.

 

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Kaum bezahlt geht das Programm auch schon los. Wir werden offiziell mit Tanz und Gesang begrüßt. Ein Dutzend Frauen und Männer legen sich ins Zeug. Die Männer teilweise mit Kopfschmuck, Federn und Stöcken, die Frauen mit den bunten Perlentellern um ihren Hals. Alle tragen traditionell die bunten Massai-Umhänge, kariert oder gestreift. Auch wir bekommen die Decken umgehängt. Der Schweiß läuft in Strömen, aber wir sind brave Gäste an diesem Tag.

Schon sind wir beim nächsten Programmteil, dem bekannten Sprungtanz, ein Ritual, das vor allem bei Männern beliebt ist.

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Denn wer besonders hoch springt wird für die Frauen besonders attraktiv. Nina und ich sollen auch springen. Ich gebe mein Bestes, aber der Massai in seinen Schlappen aus LKW-Reifen schlägt mich um Längen.

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Die Knie tun mir danach unendlich weh und mein Safari-Hemd ist auch patschenass. Was soll’s. Während uns drei Krieger zeigen, wie man per Reibung ein Feuer entfachen kann ich mich immerhin ausruhen.

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Ich schaue mich um. Massai-Dörfer sind stets im Kreis angelegt, Dornensträucher schützen gegen Wildtiere. Auch die Rinder sind nachts im kleinen Rondell untergebracht. Rinder sind den Massai heilig. Sie glauben, dass Engai, ihr Gott, ihnen alle Rinder der Welt überlassen habe. Daraus leiten sie einen generellen Besitzanspruch ab, was in früheren Zeit regelmäßig zu Auseinandersetzungen führte. Massai sind keine Jäger, sie ernähren sich fast ausschließlich von ihren Rindern, vom Fleisch, aber auch das Blut wird, gemischt mit Milch, regelmäßig getrunken.

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All das erzählt uns Titika, der uns ins Innere einer Hütte geführt hat. In der aus Kuhdung und Ästen gebauten Enkaji ist es ziemlich dunkel. Durch zwei kleine Öffnungen scheint Licht, wie in dem winzigen Bau gekocht und geschlafen wird, ist kaum vorstellbar. Wer so darin schläft, das kann sich immer mal ändern, denn die Massai-Männer haben meist mehr als eine Frau. Auch der Frauentausch steht durchaus hoch im Kurs. Als Nina fragt, warum die Frauen nicht mehrere Männer haben dürfen, schaut Titika verwirrt. Auch bei der Wiederholung der Frage schüttelt er den Kopf.

„I like Mjuhlär.“

Um die Situation zu überspielen fragt er, woher wir kommen. „Germany“, sagen wir. Er schaut verständnislos. „Germany, it’s in europe?“, fragt er. Wir sind völlig überrascht, denn bis dahin hatte sich der 34-jährige Titika relativ pfiffig angestellt. „Munich, germany“, sage ich noch mal. Volltreffer. „Ahhh, Munich“, sagt Titika. „Bayern Munich“. Wir staunen Bauklötze. „Yes, Bayern Munich. You know?“ frage ich. „Yes, yes, yes“ sagt der Massai und strahlt dabei. Logisch. Krieger, Nomade, Nordtansania, ist aber Fan von Bayern München. „Mjuhlär. I like him so much“, legt Titika nach. Thomas Müller, Fußball-Held der Massai. Hätte einem ja klar sein müssen. Logisch. Titika hat Feuer gefangen und fragt, ob wir irgendein Shirt oder Souvenir von Bayern München haben, das wir ihm geben könnten. Wir müssen ihn leider enttäuschen. „Next time“, doch den umherziehenden Titika nochmals zu treffen, das dürfte schwer werden. Ich frage mich, ob Titika das Trikot beim Rinderhüten angezogen hätte oder eher beim Rinderbluttrinken. Ich komme nicht zum Fragen. Von draußen ertönt eine Stimme. Die Zeit ist um. Etwas mehr als eine halbe Stunde. Wir werden aus der Hütte gebeten und aufgefordert, uns die hergestellten Schmucksachen anzuschauen. Wir tun das aus Höflichkeit und verabschieden uns scbell. Rodin startet den Motor und wir fahren in Richtung Serengeti. Ich sehe Titika im Müller-Trikot vor meinem geistigen Auge auf einem der vielen endlosen Feldern stehen und denke mal wieder: Fußball verbindet tatsächlich Welten.

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