Vielleicht muss ich den Bericht aus diesem so lebendigen und ergreifenden Land mit Eduardo beginnen. Wir lernten Eduardo am Strand von Palomino kennen, einem kleinen Ort an der westlichen Küste Kolumbiens. Jeden Tag kam der alte Mann drei-, viermal an uns vorbei, über dem Arm eine Kühlbox, in der der Kolumbianer rund ein Dutzend kalter Bierdosen verstaute, um sie durstigen Reisenden und Sonnenanbetern zu verkaufen. Jeden Tag das gleiche Bild: Eduardo kilometerlang unterwegs, barfuß durch den heißen Sand. Verkäufer wie ihn gab es nur ein paar am Strand. Manche verkauften Ketten, andere Geschnitztes, Sandwiches oder Süßigkeiten. Doch dieser hier war anders. Er schaute vor allem anders. Er hatte einen Blick, der uns berührte, ohne dass man sagen konnte, warum das so war. Wir grüßten ihn jedes Mal, wenn er vorbeikam. Er blieb stehen, fragte, wie es uns geht und zog dann weiter. Er fragte nie, ob wir ein Bier wollten, doch schon am zweiten Tag kaufte ich ihm zwei Bier ab, obwohl ich gar keinen Bierdurst hatte. Die Dose kostete 3000 Pesos, umgerechnet einen Dollar. Im Laden bekam er sie für nicht viel weniger. Maximal konnte er an einer Dose etwa 20 bis 30 Cent verdienen. Nicht viel und doch ging Eduardo jedes Mal an uns vorbei als hätte er Gold dabei.

Eduardo, unser kolumbianischer Held…

Ein Mann voller Stolz und Würde. Eduardo hatte eine Ausstrahlung, die uns schier in den Bann zog. Das hatte auch mit seinem Alter zu tun. Wie wir bald erfuhren war der Kolumbianer 67 Jahre alt. Doch wie drahtig er immer noch unterwegs war! Und mit welcher Energie. Keine Spur von Ärger, Frust oder Missgunst. Eduardo schien okay damit zu sein wie das Leben war. Er hatte scheinbar seinen Frieden gefunden, trotz der beschwerlichen Arbeit. Das sah und spürte man. Wir intensivierten täglich die Gespräche, wie auch sonst, er blieb ja jedes Mal bei uns stehen, um zu fragen, wie es so gehe. Wir verstanden mit unseren paar Brocken Spanisch nicht immer alles, aber das war auch nicht die Hauptsache. Es ging um Respekt, Achtung, Zuhören. Wir sagten zu ihm: „Estas muy fuerte“ („Du bist sehr stark“) und Sachen wie „Tengo admiracion“, was in meinem Kopf so viel wie „ich habe Bewunderung“ heißen sollte, was wohl auch einigermaßen hinhaute. Er verstand jedenfalls, was wir sagten. Seine Augen zeigten uns das. Eduardo konnte aber sehr schelmisch schauen, beispielsweise wenn es um seine drei Frauen, 15 Kinder und 42 Enkelkinder ging. Wir konnten es kaum glauben, fragten „Es cierto?“ („Ist das wahr?“), aber Eduardo nickte unablässig, „si, si…“ Halleluja. 15 Kinder. „Mucho trabajo“, sagte ich und Eduardo lachte aus  vollem Herzen.

An einem Tag traf er mich alleine an; sofort fragte er mich nach meiner „esposa“. Nein, alles okay, sagte ich, Nina sei nur gerade „a la casa“. Beruhigt zog Eduardo von dannen. Am letzten Tag kaufte ich mal wieder zwei seiner Dosen ab; ich gab ihm einen 50 000-Peso-Schein, hatte mir aber vorher überlegt, ihm das Restgeld zu schenken, was ungefähr 14 Dollar waren. Nie hatten wir so etwas auf der Reise zuvor getan, doch dieses Mal war mir danach. Eduardo kapierte erst nicht, dann wollte er das Geld nicht. Sein Stolz ließ das nicht zu. Wir redeten mit Engelszungen auf ihn ein, riefen ihm das baldige Osterfest („Pascua“) in Erinnerung, was in Kolumbien mindestens so wichtig war wie bei uns Weihnachten. Er nahm das Geld schließlich an, nicht ohne zu vergessen, uns im Namen aller Schutzpatronen, die das Alte und Neue Testament so hergaben, zu segnen. Doch das Schönste waren seine Augen. An sie werde ich mich immer erinnern und daran, wie aufrecht ein Mann in der Hitze Kolumbiens am Strand als einfacher Verkäufer gehen kann.

Menschen wie Eduardo haben wir einige in Kolumbien getroffen. Dabei hatten wir nach unserer abenteuerlichen Reise übers Meer für die letzten Wochen unserer Weltreise gar nicht mehr die Kraft, Lust und Muße uns all das anzuschauen, was Kolumbien zu einem der absoluten Reise-Hotspots in der Welt macht. Wir wollten uns eigentlich in aller Ruhe auf das Ende der Reise vorbereiten und suchten uns dafür eine tolle Location im Backpackerörtchen Taganga und eben Palomino aus.

Cartagena, Hauptsache bunt.

Vorher genossen wir in vollen Zügen das traumhafte Flair von Cartagena.

Zwei Obstverkäuferinnen in bunter Tracht.

Auch die Tischdecken müssen bunt sein.

Ein argentinisches Lokal mit Wandschmuck.

Straßenverkäufer.

Die berühmten Arepas, Maismehlfladen mit Käse gefüllt. Jeden Tag mindestens eines.

Nina vor einem der bekanntesten Lokale in Cartagena, die Cevicheria.

Kutschen gab es auch, aber ohne uns.

Sexy colombiana.

Blick auf die Kathedrale.

Die Altstadt der einstigen Hauptstadt des spanischen Königreiches in Südamerika war sicher mit das Schönste, was wir je irgendwo in Sachen Altstadt gesehen haben. Bonbonfarbene Gassen, Häuser, Mauern waren eine einzige Filmkulisse und selbst der Blick auf das mit Hochhäusern zugebaute moderne Cartagena hatte es in sich.

Blick auf das neue Cartagena.

Was für Farben!

Wir ließen keine Gasse aus.

Grünes Haus.

Alle tragen James-Trikots.

Marktfrau in Cartagena.

Man konnte sich an den Häusern nicht satt sehen.

Wind, Blick und Sonne.

Bunte Straßenszenerie.

Foto-Motive gab es überall.

Wir verliebten uns in Sekunden in diese Stadt, die Tag und Nacht vibrierte. In San Diego, einem schicken Stadtteil, konnte man sich an den bunten Farben der Häuserkulissen nicht satt sehen, ein pittoresker Platz übertraf den anderen. Getsemani hieß ein anderer Teil der Stadt, die Fassaden dort waren weniger restauriert, es ging ehrlicher und authentischer zu. Dort waren auch eher die einfacheren Unterkünfte, alles war ein wenig heruntergekommen, hatte aber nicht weniger Charme. Ein gegrilltes Käse-Arepa in der Hand (Maisfladen) saßen wir auf einer Bank des Getsemani-Platzes und beobachteten das bunte Treiben stundenlang . In Cartagena sahen wir phänomenale Straßenperformance-Künstler, Miss Colombia, die von tausenden von Menschen begrüßt wurde, tanzende und sexy Müllmänner, wie Nina bemerkte, die wohl schönsten Frauen unserer Reise, wie ich bemerkte, traumhafte Ceviche-Restaurants. Und dann diese Körperlichkeit und der Drang, sich zur Musik zu bewegen. Kolumbien liebt die Musik. Ob im Bus, im Lebensmittelladen, bei der Grillstation, im Lokal – Musik ist lebensnotwendig für die Kolumbianer.

Wo geht’s lang, Senora?

Wandbemalungen der Einheimischen…

Waiting for what…?

Am Platz Getsemani war zu jeder Uhrzeit etwas los.

Nina und ihre zwei Friseure.

Alleine die Hitze machte uns zu schaffen, so dass wir dann doch irgendwie froh waren aufzubrechen und uns in Taganga oberhalb der malerischen Bucht den Wind um die Ohren blasen zu lassen. Der Ort war früher mal eine Hippie- und Travellerhochburg gewesen. Davon zehrt er immer noch. doch heute kommt man eher wegen des Tauchens dorthin.

Blick auf Taganga.

Der Ort, vier Stunden entfernt von Cartagena, entpuppte sich als heruntergekommenes Kaff, bei dem sich nur der Anblick der Bucht lohnte.

Müder Hund.

Straße direkt weg von der Strandpromenade.

Bar in Taganga.

Erinnert an den Peleponnes.

Deshalb zogen wir auch auf eine Anhöhe. Dort hatten wir zum Abschluss unserer Reise ein tolles Appartement mit Pool, eine große Küche und eben einen tollen Blick auf Bucht und Berge. Genau das, was wir für unseren Spiritual-Retreat suchten. Wir kochten, schauten aufs Meer mit den Beinen im Mini-Pool und beschäftigten uns gedanklich mit dem, was da wohl bald in Deutschland auf uns einprasseln würde und wurden uns bewusst darüber, welch Geschenk diese Reise war und was sie mit uns gemacht hat.

So kann man es aushalten.

Der Blick auf die Bucht war das Schönste.

Der Fischmarkt.

Die Creme hilft bestimmt.

Blick aufs Meer.

Yoga am Morgen.

Unser Reich.

So sah es idyllisch aus in Taganga.

Und dann stand Ricardo vor der Tür des Air-bnb-Appartements. Mit einem Bein und Krücken, dafür keine Vorderzähne. An seiner Seite eine Hilfskraft, die seine Frau war, wie sich später herausstellen sollte. Die Klimaanlage tropfte in der Küche und deshalb war Ricardo da. Aber wie sollte das der Einbeinige hinbekommen? Wir hatten so unsere Zweifel. Doch der Mann strahlte und humpelte in die Wohnung. Die Frau stellte die Leiter auf und Ricardo hüpfte wie ein Kätzchen die Leiter hinauf, um den Kühlkasten auseinander zu nehmen. Er bewegte sich als sei er schon zwei Jahrzehnte mit diesen Krücken vertraut. Wir staunten. Seine Frau nahm die Boxen entgegen, säuberte sie vor dem Haus und der Techniker zog von Zimmer zu Zimmer. Als er am Ende wieder freudestrahlend vor mir stand, da nahm ich meinen ganzen Mut zusammen, ich fragte ihn, „que paso?“, „was ist passiert?“ und deutete auf seine Beine. Er erzählte, dass er ein Jahr zuvor einen schweren Motorradunfall gehabt hatte, zu schnell, aus der Kurve geflogen. Er hatte getrunken. Er verlor ein Bein, seine Zähne. Frau  und Kinder (8 und 12) bangten um die Zukunft. Aber da war Ricardo nun wieder und reparierte Klimaanlagen. Seine Frau half ihm jetzt und es klappte – auch weil Leute wie der Besitzer der Wohnung ihn einsetzten. „Pensar en positivo“, sagte er als er unsere ungläubigen Gesichter sah. Positiv denken. Wie recht er hatte. Wovor hatten wir in unserer Wohlstandswelt eigentlich noch mal Angst? Mit Ausbildung, Fremdsprachen, Arbeitslosenunterstützung, Rentenkasse und Gesundheitsversorgung? Das stand ein einbeiniger Kolumbianer und strahlte eine Energie aus, die wir aufsogen. Sie war so echt und so spürbar. Ohne Traumatherapie und ohne Psychologe. Die Menschen hier haben eben keine andere Wahl als immer wieder aufzustehen und das Beste aus dem Leben zu machen. Chapeau!

Herrlicher Sonnenuntergang.

Happy people.

Wir genossen die Zeit in Taganga trotz überschaubarer Aktivitäten oder gerade deshalb. Um die Ecke lag der Tayrona-Nationalpark, ein Anziehungspunkt für Reisende aus der ganzen Welt. Uns ließ das kalt. Wir hatten genügend „schönste Plätze“ in der Welt gesehen. Wir wollten uns sammeln, Ruhe haben, die letzten Tage mit Muße genießen.

Als wir nach einer Woche nach Palomino aufbrachen, waren wir aber auch ganz froh, da uns ein kleines, verstaubtes, süßes Küstendörfchen empfing, das uns in den Bann schlug. Lange Sandstrände, wundervolle Palmenhaine, ein paar lustiges Backpacker und Sandwege, in denen man zwar einige Unterkünfte und Lokale fand, die aber dennoch nie auch nur ansatzweise bevölkert waren.

Im Bus nach Palomino.

Das Dorf.

Die Wege.

Der Strand.

Not bad.

Viel war nicht los.

Wir hatten einen tollen Bungalow, nur 50 Meter vom Strand entfernt – einfach paradiesisch.

Unser Bungalow.

Der Blick auf den Strand.

Aber in absoluter Finsternis vom Dörfchen über den Strand zurückzulaufen war jedes Mal eine Herausforderung. Schließlich waren wir doch in KOLUMBIEN. Diesem Land voller Gewaltverbrechern, Killern und Dieben. Dachten wir. Tja, wir empfanden das Land als äußerst friedfertig, bis auf eine Ausnahme in der Altstadt von Santa Marta, wo wir kurz Zeuge einer Messerstecherei zwischen Junkies waren, passierte nichts. Dort in Santa Marta, wo übrigens der große Simon Bolivar verstarb, blieben wir auf dem Rückweg von Palomino noch eine Nacht. Eine Stadt, die ihren Reichtum in den 90ern mit dem Anbau der besten Haschsorten Kolumbiens machte und den Händlern, Bauern und Transporteuren zu viel Geld verhalf. Geld, das auch in etliche der grotesk hässlichen Hochhäuser rund um die Promenade investiert wurde.

Santa Marta – so kann Strand auch aussehen.

An der Strandpromenade, ein Indio.

Nina in love mit ihrem Arepa.

In Santa Marta wohnten wir auch dem sonntäglichen Gottesdienst bei und waren zu Tränen gerührt von einem unglaublich schönen berührenden Gesang. Die Stimme hörte sich an wie eine Art Gilbert Becaud oder Julio Iglesias auf kolumbianisch. Es war als verabschiede sich dieses wunderschöne Land von uns auf diese herzzerreißende Weise. Die Menschen umarmten sich, schüttelten sich die Hände und wir waren einfach nur dankbar, diesen Moment mitzuerleben. Zum Glück hatte Nina die Eingebung, einen Teil der Zeremonie mit dem Handy aufzunehmen, so dass wir diesen „göttlichen“ Augenblick immer wieder genießen können. Berührt und demütig standen wir anschließend auf dem Vorplatz der Kathedrale, beobachteten Kinder im Dunkeln beim Versteckspielen und wir verstanden, warum Menschen Plätze wie diese aufsuchen. Sich eins fühlen mit den anderen, mit der Energie des Lebens und dem Universum. Man kann Mantras singen, meditieren oder dieser Art von Musik lauschen. Alles führt dazu, sich zu spüren, das große Ganze zu fühlen. Denn sind wir nicht alle Teil eines Ganzen? Ja, we are all one.

Abschied in der Kathedrale.

Am nächsten Tag war es soweit. Wir fuhren nach Cartagena, doch der Abschied hatte schon in Santa Marta stattgefunden. Wir machten letzte kleine Einkäufe, besuchten noch mal die Placa Getsemani, und am nächsten Tag packten wir das letzte Mal. Es sollte tatsächlich zurückgehen. Mit Avianca nach Miami, weiter mit TAP nach Lissabon und Frankfurt. Nach sieben Monaten und vier Tagen war Ende, Schluss, Aus. Es ging nach Hause. Nach Hause? Aber hatten wir nicht festgestellt, dass das Zuhause in uns ist? Wie würde es dort sein? Wie würde der Empfang sein? Was gibt es Neues? Wie würden wir wieder in unser Leben einfinden? Wären wir noch kompatibel mit dieser schnellen, hektischen und stressigen Welt? Fragen über Fragen, auf die wir nun eine Antwort kriegen würden. Doch dazu mehr beim nächsten Mal. Adios amado Colombia, adios libertad sin limites (Freiheit ohne Grenzen). Es war einfach unglaublich.

Share: