Als ich die Tür unseres Zimmers nach draußen öffne und in den kleinen Garten trete, kann ich es kaum glauben. Dichte Nebelschwaden wabern mir entgegen. Ohne die funktionierenden Lampen würde ich in der Dunkelheit den Weg zum Restaurant kaum finden. Es ist kurz vor sechs Uhr und ich lerne, dass die Septembermorgen in Nord-Tansania durchaus kälter sind als jene in Südbayern. Das Thermometer zeigt gerade mal sieben Grad Celsius und das kommt nicht von ungefähr. Denn die Rhino Lodge, wo wir genächtigt haben, befindet sich auf 2200 Metern Höhe in direkter Nähe zum Ngorongoro-Krater, der seit 1979 als Weltkulturerbe der UNESCO anerkannt ist und einer der Höhepunkte unserer Reise sein wird. Die Spannung ist groß an diesem Morgen.
Schon der Vortag hatte es in sich gehabt, mit dem Aufstieg in dieses einzigartige Naturreservat, vorbei am Lake Manyara-Nationalpark, hellen Getreidefeldern, Kaffeeplantagen und dichter Vegetation, die uns an jene in asiatischen Ländern erinnerte. Als wir am Nachmittag schließlich an den Kraterrand kommen, stockt uns der Atem: Der Panorama-Blick sorgt für Gänsehaut. Man sagt das ja gerne und oft, doch bei dem Anblick dieses Naturspetakels sindwir einfach nur noch sprachlos. Der weltgrößte nicht mit Wasser gefüllte Krater der Erde misst 19 Kilometer im Durchmesser und hat eine Fläche von 304 Quadratkilometern. Vom Kraterboden führen etwa 600 Meter steile Wände hinauf. Auf dem Kraterboden selbst leben etwa 30 000 Tiere. Es ist das größte Tiergehege der Welt. Von oben sieht das Ganze wie ein riesiges Playmobil-Amphitheater aus, das der liebe Gott höchstpersönlich kreiert hat. Hier ein paar Wälder, dort ein See, ein kleiner Fluss, es gibt Wasserläufe, Hügel und das alles eingebettet zwischen hohen Bergwänden. Es ist der ideale natürliche Lebensraum für so ziemlich alle Tiere, die es in diesen Breitengraden gibt. Nur Giraffen vermisst man. Sie scheuen dein steilen Abstieg, für ihre langen Beine ist er kaum zu bewerkstelligen. Als wir das alles sehen spüren wir eine wirkliche große Freude auf den folgenden Tag. Doch vorher haben wir ja noch eine Übernachtung in der Rhino Lodge vor uns.
Dort begrüßt uns die belgische Inhaberin Elene herzlich und erklärt uns die gewohnten Gepflogenheiten in Unterkünften wie dieser: Dass man in der Dunkelheit nicht mehr herumlaufen dürfe aufgrund der vielen Wildtiere, die sich nachts herumtreiben, dass es nachts ziemlich kalt werde, so dass man sich den Kaminofen anmachen lassen könnte und es Strom nur bis neun gebe. Die Terrasse mit Blick ins Grüne und auf den Engitati Hill erobert uns im Sturm. Die Lodge könnte auch eine Berghütte in der Schweiz sein, gäbe es nicht die dichte grüne Vegetation ringsherum. Überall sehr viel Holz und Kariertes, im Restaurant zwei große Kamine mit Brennholz. Während vor der großen Holzterrasse Zebras und Gnus grasen genießen wir im windgeschützten Bereich die Abendsonne. Mein kaltes Kilimandscharo-Bier schmeckt vorzüglich.
Wir fühlen uns in der Lodge sehr wohl, auch weil unser Fahrer und Guide, Rodin, am Abend mit uns speisen darf. Etwas, was in vielen anderen Hotels und Lodges rund um den Krater und in der Serengeti nicht möglich ist, wie wir noch feststellen werden.
Die Nacht in den Zimmern ist allerdings kühl – trotz des kleinen Kachelofens, in dem das Holz geräuschvoll verbrannt wird. Mit Hoodie, Wärmeflasche legen wir uns unter drei Decken.
Am Morgen geht es nach dem Frühstück gegen 6.30 Uhr dann endlich los Richtung Krater. Eine grundsätzlich teure Angelegenheit. Eintritt pro Person 50 Dollar, dazu zahlt man 300 Dollar für den Wagen. Genehmigte Aufenthaltsdauer: leider nur sechs Stunden. Doch dieser Krater ist sein ganzes Geld wert und das wissen wahrscheinlich auch die tansanischen Behörden, die seit Jahren die Eintrittspreise immer weiter erhöhen. Uns ist das an diesem Morgen egal. Angezogen wie im deutschen Herbst mit allem, was der Rucksack so hergibt, sitzen Nina und ich fröstelnd und erwartungsfroh im Landcruiser auf dem Weg nach unten.
Die Weite des natürlichen Rondells fasziniert uns von der ersten bis zur letzten Minute. Als erstes nehmen wir die riesigen Zebra- und Gnu-Herden wahr, die gemächlich umherstreifen.
Ihr Gehen ist fast als Trippeln zu bezeichnen. Meistens vermischen sich die Herden, weil sich die Tiere gegenseitig helfen können. Während die Gnus sehr gut hören, sehen die Zebras bestens, so dass sie sich im Kampf ums Überleben gegenseitig unterstützen.
Dann stoßen wir auf eine Reihe wartender Jeeps. Das beste Zeichen, seinen Photoapparat zu zücken. Und tatsächlich, nicht unweit von einigen grasenden Gnus liegt ein Rhinoceros. Zwar kaum zu sehen für das bloße Auge, wie es im Gras liegt, dennoch ist es was ganz Besonderes, denn es gibt nur noch 35 von ihnen im Krater. Eine echte Trophäe also. Das Nashorn hat keinen natürlichen Feind, es ist der Mensch, der aufgrund der Hörner dieses Tier in Tansania beinahe zum Aussterben gebracht hat.
Durch hügelige Graslandschaft fahren wir weiter und entdecken zusammen mit etwa weiteren sechs Jeepbesatzungen ein Löwen-Pärchen, das in etwa 10 Metern Entfernung an einem Bachlauf, nun ja, neudeutsch würde man sagen, es chillt.
Beide Tiere liegen einfach so da, tun nichts, ja sie trinken noch nicht einmal. Sie ruhen sich aus. Wobei sich die Frage für das Männchen stellt: wovon eigentlich? Die Löwin ist ja diejenige, welche jagt und erlegt. Sie überlässt ihrem Mann sogar die Beute, isst immer erst, wenn er sein Mahl beendet hat. Mann Löwe hat ein gutes Leben, er passt allerhöchstens ein wenig auf die Familie auf, wenn sie sich ausruht. Ich verstehe, warum man ihn den „King“ nennt. Bei so einem Leben. Kurze Zeit später sehen wir einen weiteren Löwen-Man. Auch er – natürlich – chillt. Der Krater ist der Wahnsinn.
Wir fahren im Jeep gemächlich weiter und entdecken dank der anderen Jeeps eine Dreier-Party von Flusspferden. Selbst Rodin ist am Steuer höchst erstaunt. Er sei diesen Tieren nur selten so nah gekommen. Höchstens fünf Meter von uns entfern liegen sie auf dem Boden, direkt an einem Wasser, nur genervt von Vögeln, die sie in den Rücken picken, um Zecken zu beißen.
Wir drehen weiter unsere Runde, kommen noch zweimal an Löwen vorbei, kreuzen Tüpfelhyänen, einen Schakal, sehen Massen von Kuhantilopen, auch einen Elefanten von weitem. Nach etwa fünf Stunden im Krater machen wir uns langsam auf den Weg. Es ist 12 Uhr. Mittlerweile sitzen wir im T-Shirt im offenen Jeep. Die Sonne hat die Wolken und die Kälte vertrieben. Der Sprung vom Herbst in den Sommer geht rasend.
Nun ist Serengeti das nächste Ziel. Wir sind happy. Es ist unser dritte Tag auf Safari und wir haben die Big Five bereits gesehen: Büffel, Löwe, Rhinoceros, Leopard, Elefant. Diese Bezeichnung kommt ursprünglich von Jägern aus früherer Zeit, die mit dieser Rubrik jene fünf Tiere meinten, die zu Fuß am schwersten zu erlegen sind. Heuzutage kennt diesen Begriff jeder Tourist und die Qualität einer Safari wird gerne auch mal mit der Anzahl der abfotografierten Big-Five-Tiere gemessen. Nicht so bei uns, aber ganz ehrlich. Als Rodin uns anstrahlt und sagt: „You got the big five“, freuen wir uns irgendwie doch.
Als wir hoch zum Kraterrand fahren sind wir beseelt. Dieses Mal nicht wegen der Fotos oder der Big Five, nein, es ist die Magie dieses Ortes, der uns voll in seinen Bann geschlagen hat. Ngorongoro – das achte Weltwunder, wie viele sagen. Das Gefühl, das Ngorongoro bei mir und Nina ausgelöst hat, haben nur wenige Orte geschafft. Ich kann in diesem Moment nachvollziehen, dass Völker die Natur anbeten. Im Angesicht solch natürlicher Genialität, Größe und Schönheit fühle ich mich klein und bin voller Demut. Ein Ort, der vor vielen tausend Jahren bereits genauso aussah wie heute. Welch eine Unendlichkeit! Und ich frage mich, welche Rolle wir Menschen bei all dem spielen – oder eben auch nicht, wenn wir mal die Finger von der Natur lassen.
Hallo, ihr lieben.
Was ich euch beneide!!
Am Ammersee ist es zwar auch wunderschön, aber es gibt hier nur Enten, Kühe, Hunde…
obwohl die Erhabenheit der Natur ringsum unbeschreiblich erscheint, ist es dir gelungen eine Schilderung davon zu geben, die uns enorm berührt.
Die Forderung, die Natur doch unberührt zu lassen, widerspricht sich hier mit dem Tatbestand, dass nur durch den Eingriff in sie , z. B. mittels der Initiative Grzimeks, diese gerettet worden ist !
Danke , dass wir wieder ein bißchen an eurer Reise teilnehmen konnten!
Wunderschön!
Zum Freitagabend kann ich mir nichts besseres passieren, als für 10 min mit euch NGORONGORO – DAS ACHTE WELTWUNDER zu bestaunen und die Tiere (auf Bildern) anzusehen. Selbst die gefühlte Kälte konnte ich fast spüren 🙂
Danke für den tollen Ausflug, dann kann ich nun ins Wochenende starten…