Eines der ganz besonders schönen Dinge ist es für uns beim Reisen in der Fremde auf Hilfe angewiesen zu sein. Klingt vielleicht komisch. Doch es ist immer wieder neu ein Geschenk, wenn jemand völlig überraschend, unerwartet und einfach so für uns da ist. Obwohl er uns nicht kennt und nichts dafür bekommt. Manchmal ist es ein einladendes oder aufmunterndes Lächeln, das uns den Augenblick versüßt, wenn uns gerade der Mut verlässt. Ein anderes Mal rettet ein Hinweis eines Passanten, der unseren suchenden Blick bemerkt, den Tag. Es ist dann der Moment, wenn in uns drinnen „die Sonne aufgeht“ – ja so ein warmes Gefühl entsteht. Manchmal ist es sogar der entscheidende Augenblick des Tages, an den wir uns noch lange erinnern.

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Verkäuferin in Laos.

Draußen in den Ländern, Straßen, Feldern, Pfaden und Wäldern dieser Welt merkt man, wie sehr wir Menschen auf Beziehung angewiesen sind. Es fühlt sich eben wunderbar an, wenn uns jemand „begegnet“, wir neue Bande knüpfen. Nicht selten entwickelt sich aus dem spontanen Gespräch mit einem Einheimischen oder einem anderen Reisenden sogar eine tiefe Freundschaft.

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Cafe-Betreiber in Kerala.

Doch man muss sich darauf einlassen können. Denn es gehört auch Mut dazu, sich unsicher und fragend, nicht wissend und verletzbar zu zeigen. Nicht immer sind solche Kontaktaufnahmen auf unbekanntem Terrain von Erfolg gekrönt. Manchmal wird man auch übers Ohr gehauen oder bekommt ganz einfach keine Antwort. Man fühlt sich ungewollt und nicht willkommen. Kein Wunder, dass viele Menschen diesen Situationen aus dem Weg gehen wollen. Sie buchen Vollpension, sind mit Guides unterwegs oder besuchen erst gar nicht fremde Länder, sie ziehen es vor, in den Stammclub an die Riviera zu fliegen. Dorthin, wo alles bekannt und vertraut ist. Nachvollziehbar. Doch wer einmal die spontane Gastfreundschaft oder aufrichtige Hilfe in einem fremden Land erlebt hat, der will mehr davon.

 

Begegnung mit Joy in Indien.

Begegnung mit Joy in Indien.

Ich stand vor einigen Monaten in einem Straßenlokal in Bengaluru in Indien und war unfähig, die in Landessprache geschriebene Speisekarte zu lesen. Nina lag mit Fieber krank im Hotelbett und ich musste nach all der Krankenversorgung dringend was essen. Der Laden brummte, die Mahlzeiten wurden an der offenen Theke dutzendweise ausgegeben, an der Kasse drängelten sich die hungrigen Gäste. Der Kassierer hatte keine Zeit, sich den Fragen eines Touristen zu stellen und konnte vor allem nicht gut genug Englisch dafür. In all dem Getümmel tauchte plötzlich Shayan auf. Er fragte mich, wie er mir helfen könne, um mir dann in allen Einzelheiten geduldig die Speisekarte zu übersetzen und zu erklären. Es stellte sich heraus, dass Shayan der Besitzer des Lokals war und mit seinen 32 Jahren sogar noch zwei andere Restaurants besaß. Nach der Bestellung, die er natürlich persönlich veranlasste, setzte er sich zu mir und wir unterhielten uns beim Essen äußerst anregend beinahe eine halbe Stunde lang. Ich erfuhr, wie er lebte, wie seine Lebensträume aussahen und ich erzählte von mir, von Nina, meinen Kinder, und auch meiner damaligen Scheidung. Wir diskutierten die unterschiedlichen Realitäten unserer Heimatländer, gerade in Bezug auf Trennungen, lachten viel und kamen uns tatsächlich nah. Ich ging aus dem Lokal mit dem Gefühl, soeben einen ganz wertvollen Moment erlebt zu haben. Es fühlte sich toll an. Warm und weich. Eine schöne Verbindung mit einem fremden Menschen, der mir danach gar nicht mehr so fremd war. Es war einfach sehr wertschätzend für mich, solch eine Unterstützung zu erfahren.

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Schulkinder in Tansania.

Ich fragte mich später, wie oft das wohl in Deutschland passierte, dass andersherum, ein hilfloser indischer Tourist vom deutschen Restaurantbesitzer angesprochen wird und sich daraus eine Konversation entspinnt, die beiden Seiten viel Wissenswertes und Neues beibringt? Wie oft bin ich auf meiner Reise gefragt worden, woher ich komme. Tausendmal. Zum Beispiel wie es da wohl ist in Deutschland und ob ich ihr Land mag. Doch wann habe ich das zum letzten Mal in München jemanden gefragt? Wie oft zeige ich noch Neugier, interessiere mich für fremde Menschen, z.B. wenn ich U-Bahn fahre oder über den Marienplatz laufe? Nicht so oft, wenn ich ehrlich bin und das ist schade. Aber unser allzu hektischer Alltag tötet die Neugier ab, lässt kaum Platz für überraschende Begegnungen, ungeplante Tagesabläufe. Auf der Reise habe ich vor allem das wieder gelernt: offen sein, genauer hinschauen, zuhören, den Menschen begegnen. Achtsam sein für all das, was um einen herum passiert und passieren kann.

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Auskunftsfreudig und Fußballfan: junger Tansanier.

Wie gerne würde ich mir diese Achtsamkeit auch für den Alltag in Deutschland bewahren, um solch wertvolle Momente zu erleben. Doch dort ist mein Alltag optimiert. Da wird in der U-Bahn noch die letzte Geschäftsmail beantwortet, beim Friseur an einem Text gearbeitet und im Treppenhaus vor der Wohnungstür schnell noch eine SMS geschrieben. Der Blick für unsere Umwelt geht dabei verloren. Wir haben ja selbst für unsere Allerliebsten kaum noch Zeit. Aber Achtsamkeit fängt auf der Straße an, im Bus oder Zug. Vielleicht sollten wir einfach der älteren Frau auf der Treppe helfen, bevor wir die ganze Menschheit retten wollen. Es sind ganz oft die kleinen Momente, die den Tag besonders machen. Zu erleben, dass dir jemand hilft oder dass du für jemanden da bist – einfach so – sorgt für eine Energie, die unser Leben doch erst so lebenswert macht.

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Air-Bnb-Gastgeber in Nicaragua.

Denn in diesem einen Moment fühlt man sich verbunden, eins mit der Welt, so wie ich in dem Schnellrestaurant in Bengaluru. Vielleicht will ich einfach nur das sagen: Egal, wo wir gerade sind, lasst uns anfangen, die kleinen Momente zu nutzen, um andere und uns selbst zu beschenken und dadurch die Welt ein klein bisschen besser zu machen.

Let love rule.

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