Der breitschultrige US-Grenzbeamte bei der Immigration in der heruntergekühlten Ankunftshalle am Flughafen in Honolulu macht mir Sorgen. Eine vierköpfige Familie hat er bereits in einen Besprechungsraum hinter seinem Schalter geleitet und dem jungen Chinesen, der mit uns aus Peking ankam, ergeht es nun genauso.

Zeit, die Schlange zu wechseln, gibt es nicht mehr. Nina und ich werden nach vorne gewinkt. Ich verspüre eine gewisse Nervosität und das hat vor allem mit dem ersten Satz auf der von der US Customs and Border Protection erteilten ESTA-Reisegenehmigung zu tun: „Die Genehmigung garantiert nicht den Zutritt, allein der Grenzbeamte vor Ort wird darüber letztlich entscheiden.“ Mein arabischer Name, der deutsch-tunesische Doppelpass könnten gerade in diesen Zeiten zu gewissen Nachfragen führen, fürchte ich; schon bei dem Fragebogen für die ESTA-Formalitäten hatten mich die geforderten Auskünfte zu meiner zweiten Nationalität und zu der Passnummer des tunesischen Ausweispapiers (die ich nicht wusste) verunsichert. Nun liegt es also an dem muskulösen Mann in blauer Uniform vor uns, ob es für mich, für uns in die USA geht.

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Blick von oben auf Honolulu.

Nina geht voran. Sie meint es erhöht die Chancen, wenn sie als Frau versucht ganz charmant in das Gespräch einzusteigen. Wahrscheinlich traut sie mir auch nicht ganz, dass ich die mir gegenüberstehende Autorität so akzeptiere wie es nötig ist. Doch da muss sie sich an diesem Tag keine Sorgen machen. Ich trete mit mega Respekt nach vorne. Unsere Marschroute bewährt sich. Der Beamte zeigt sich überraschend lässig. „Hi folks, how you’re doin?“, höre ich ihn sagen. Von wegen Schikane. Wir reden über unsere Weltreise, die Jobs; er staunt als er hört ich sei als Sportjournalist bei der WM in Brasilien gewesen. Am Ende schaut er allerdings doch noch mal ernst und fragt: „Was ist da bei euch in Berlin los? Man hört schlimme Sachen. Kann man noch nach Deutschland?“ Nina beruhigt ihn, alles sei sicher, aber überall gebe es nun mal verrückte Leute, sagt sie. Er nickt: „Das stimmt. Heute Morgen hat jemand am Flughafen in Fort Lauderdale auf Menschen geschossen. Es gab einige Tote. Schlimm.“ So viel dazu, ob man noch nach Deutschland kann. Wir schlucken trotzdem. Fort Lauderdale, auch ein Ferienort. So wie Honolulu.

Nun gut. Er gibt uns die Pässe und wünscht uns „great days“. Wow, was für ein Empfang! Endlich angekommen auf der Insel, die ich vornehmlich aus dem Blick eines Privatdetektives mit rotem Ferrari kenne: Thomas Magnum alias Tom Selleck, der in den 80ern wegen seiner lässigen Art zu meinen Idolen zählte und zu den wenigen Amerikanern gehörte, deren Lieblingsbier das Düsseldorfer Alt war. Dass mein Gepäck im Gegensatz zu dem von Nina in Peking blieb, vermiest mir zwar etwas die Laune, doch als wir endlich in unserem roten Chevrolet sitzen und in Richtung Kailua im Norden fahren, fühle ich mich ein wenig wie mein einstiges Idol mit dem dicken Schnauzer. Wir sind sofort verzaubert und genießen die An- und Ausblicke.

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Küste bei Haleiwa auf Oahu.

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Wohngebiet in Kailua.

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Hawaii findet man nicht einfach nur schön, Hawaii mag man auch nicht, nein, von Hawaii wird man schlichtweg in Atem gehalten. Palmen, unglaublich massiv geformte grüne Berge, türkisfarbenes Wasser, riesige Wellen, lange wunderschöne Sandstrände… Nicht immer hat man das alles auf einen Blick, aber so ziemlich häufig. Schon die Hauptinsel Oahu verzaubert uns.

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Als wir bei unserer gebuchten Air-bnb-Unterkunft ankommen glauben wir erst an eine Verwechslung. Mark begrüßt uns als seien wir Freunde, auf die er seit dem Morgen gewartet hat. Seine Lebensgefährtin Martine steht ihm in nichts nach. Amerikanische Gastfreundschaft, die uns überwältigt. Wir fühlen uns in dem Haus mit tropischen Garten wie zu Hause, sind vom ersten Moment an, Teil der Familie. Martine hat alles liebevoll vorbereitet und ist mit spannenden Gesprächen am Start. Mark ist ein Tausendsassa, er kann singen, schauspielern und sogar Elektromotoren in PKW einbauen.

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Unsere Gastgeber: Martine und Mark.

In jungen Jahren geht er zur Army, um dort seiner Leidenschaft als Schauspieler nachzugehen. Danach macht er eine Ausbildung zum „Flying Doctor“, fliegt jahrelang verletzte US-Soldaten aus Krisengebieten. Als 2005 damit Schluss ist, lernt er den Job einer Krankenschwester. Aktuell arbeitet er in einem Gefängnis-Krankenhaus. Auf die Zukunft angesprochen kann er sich durchaus vorstellen, nochmals das Metier zu wechseln. Für eine Theatergruppe arbeitet er schon länger als Ton- und Lichtingenieur. Für ihn durchaus eine Alternative. Eine wunderbar offene Vorstellung vom Leben, noch im Alter von über 50 es als völlig normal zu erachten, einen neuen Job zu lernen. Typisch amerikanisch? Irgendwie schon. Der Autor der Bühnenstücke ist im Übrigen Gary, der vor fünf Jahren bei der wundervollen Martine als Untermieter einzog. Er hat japanische Vorfahren, ist ein renommierter Reporter vom Honolulu Star Advertiser, der größten Zeitung vor Ort und weiß Unmengen über Hawaii. Er ist an den ersten beiden Tagen auf Maui, wo seine Ex-Familie wohnt und verpasst so den Bootsausflug, zu dem uns Mark einlädt. Ein Freund aus Army-Zeiten hat eine Segelyacht im Hafen von Waikiki und so finden wir uns direkt am nächsten Tag nach unserer Ankunft auf dem Wasser vor Honolulu, trinken Mai-Tai, genießen mit ziemlich lustigen Freunden der beiden den Sonnenuntergang, einen spektakulären Blick auf Waikiki und den „Diamond Head“ sowie die Berge rundum Honolulu. Ein echtes Geschenk.

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Die Freundlichkeit der Menschen, denen wir begegnen, macht uns die allermeiste Zeit sprachlos. Auf dem Boot ist das genauso wie im Restaurant, an der Supermarktkasse oder im T-Mobile-Shop. Im Telefonladen habe ich noch nicht einmal die Tür ganz geöffnet, da stehen schon zwei (!) Angestellte vor mir und fragen mich, was sie für mich tun können. Nach von mir gestoppten sieben Minuten (totaler Ernst) bin ich im Besitz einer SIM-Card und die zwei entschuldigen sich mehrfach für die Wartezeit. Hallo? Meine Erfahrungen mit Handy Shops in Deutschland sehen da anders aus.

Die Einstellung der Hawaiianer passt zu Wetter und Landschaft. Wir haben durchgehend zwischen 25 und 28 Grad. Wahrscheinlich lässt es sich da besser mit den Leuten quatschen. In Kailua im Norden fühlen wir uns jedenfalls pudelwohl. Wir verlängern dort schließlich zwei Tage, müssen aber leider die Unterkunft wechseln, da Martine eine neue Buchung hat. Tja neues Spiel neues Glück, oder auch Pech. Es ist das komplette Gegenteil von dem, was wir zuvor erlebten. Gastgeberin ist Kim, eine allein erziehende Mutter, die drei kleine Kinder groß zuziehen hat und jeden Tag um 22.30 Uhr abends von der Arbeit kommt. Ihr Häuschen mit 50 qm ist extrem chaotisch und zu klein für uns, die 3 Kinder, ihren Freund und zwei Chinesen, die ein anderes Zimmer belegen. Bad und Küche sind in einem erbärmlichen Zustand und als eines ihrer Mädchen nachts im Gang steht und heult, weil ihre Mutter die Tür nicht öffnet, bringt Nina sie dreimal ins Bett inklusive Einschlaflied. Es ist die andere Seite des schillernden Hawaii, wir sind betroffen von diesem Stück amerikanischer Realität.

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Eingang vor Kim’s Haus.

Am letzten Abend auf Oahu treffen wir uns dann wieder mit Mark, Martine und Gary. Treffpunkt ist das „Buzz’s“, am Strand von Kailua. Eine Woche zuvor saß dort noch Barak Obama, der in Hawaii geboren wurde, wie wir auf einem Foto erkennen.  Er hat den größten Teil seiner Kindheit und Jugend dort verbracht. In einem Haus in Kailua feiert er zum letzten Mal Silvester als amtierender US-Präsident.

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Soldatenfriedhof.

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Wir sind ein Stück weit traurig, als wir Oahu verlassen. Doch die drei Tage auf Maui sollten uns sogar noch mehr verzaubern. Die Stimmung dort ist noch relaxter, die Landschaft noch aufregender, die Wellen und Surfer noch spektakulärer.

Sie lungern zu Dutzenden im Wasser herum. 20, 25 Wellenreiter. Von der Felsküste aus wirken sie ohne die Welle unter ihren Brettern ein wenig verloren, wie dahintreibende Mini-Bojen, die dem heftigen Strom des Wassers wahllos ausgeliefert sind. Sie alle warten. Warten auf die richtige Welle und den richtigen Moment. Es ist immer wieder ein beeindruckender Moment, wie die Wellenreiter auf ihr Board springen und auf dem Wellenkamm Richtung Küste surfen. In Hookipo ist das vielleicht nochmals spektakulärer als anderswo in Hawaii. Der Ort gilt als einer der beliebtesten Surfspots der Welt. Täglich wird der Strandabschnitt von Hunderten von Schaulustigen bevölkert. Strömung, Riffe, Winde machen das Surfen hier besonders anspruchsvoll. Wer die teilweise 5- oder 6-Meter-Wellen bezwingen will, muss das Metier beherrschen. Das Geheimnis dieses Sports dauert nie länger als 10, 15 Sekunden. Es langt anscheinend, um süchtig zu machen. Jede Welle unterscheidet sich von der anderen und das, was man aus ihr macht. Es gibt wohl kaum einen Sport, der das Zuschauen ohne einen vorhandenen Wettbewerb so attraktiv macht. Wind, Wasser, Sonne und wagemutige Athleten, die immer wieder neu versuchen, die Naturgewalt unter ihrem Brett für ihren Flug übers Meer auszunutzen. Wir sitzen oberhalb des Küstenabschnitts und sind beseelt von der Energie dieser Auseinandersetzung zwischen Mensch und Natur. Nina ist fasziniert – nicht nur von den tollen Surfern, sondern vor allem von diesen Wahnsinns-Wellen die donnernd auf dem Strand aufkommen, so dass der Boden unter den Füßen vibriert.

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Und auch sonst ist echt was los auf Maui. Wir sind Gäste einer spontanen Hippie-Party am Strand von Paia, unternehmen eine Whale-Watching-Tour und kommen so den riesigen Buckelwalen ganz nah. Sie sind zu dieser Zeit in Massen vor der Küste Lahainas, um ihre Babies auf die Welt zu bringen.

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Lahaina selbst ist ein bezaubernder Küstenort auf Maui, wo wir zum Abschluss einen ganz speziellen Abend im „Fleetwoods“ verbringen. Das Lokal gehört natürlich dem Ex-Sänger der Gruppe Fleetwood Mac und ist ein wundervoller Platz, um den Sonnenuntergang, den Pazifik und die unglaubliche Stimmung dieser Insel zu genießen. Wir würden am liebsten bleiben, doch der Flug ist leider schon gebucht. Hawaii bleibt für uns eine der großen Offenbarungen dieser spontanen Reise. Und vielleicht klappt es ja noch einmal: irgendwann mit dem Schnauzbart im roten Ferrari durch Honolulu cruisen…

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