Wahrscheinlich gibt es weniger anstrengendere Einstiege in ein neues Land, aber spannend war es allemal. Es ist ein Mittwochmorgen. Seit fast zwei Stunden sind Nina und ich am Streiten. Wir sind erschöpft und wissen gerade nicht weiter. Die Sticheleien, Vorwürfe und Drohungen haben uns müde gemacht. Dabei ist es erst 11.30 Uhr. Es fing nach dem Frühstück harmlos an, beim Packen unserer Rucksäcke im Guesthouse in Costa Ricas Hauptstadt San Jose, wo wir am Vortag aus Nicaragua angekommen waren. Plötzlich stand der Streit im Raum. Uneingeladen und nervig. Ausgangspunkt war ein völlig unangebrachter zurechtweisender Ton meinerseits, den Nina bereitwillig aufnahm. Sie reagierte aufgebracht, worauf ich mit einer herablassenden Ignoranz antwortete, die das Ganze nur noch mehr anfachte.

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Mounir: In Streitstimmung.

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Nina: Kann auch anders.

Wir kannten das schon von unserer Reise. So eine intensive gemeinsame Zeit. Jeden Tag 24 Stunden miteinander verbringen, sich täglich abstimmen über Aktivitäten, Essen, Route oder Ausschlafen, das ist eine echte Herausforderung. Einerseits entsteht eine wunderbare Nähe, die sich einzigartig anfühlt, aber auch aufsaugend sein kann. Gelegenheiten auf Distanz zu gehen, waren daher stets willkommen – zum Beispiel mit Zänkereien über unwichtige Details. Das gehörte irgendwie dazu. Reinigende Gewitter, die wieder die Möglichkeit gaben, sich zu nähern. Wir nannten das auch “Nähe und Distanz ausbalancieren“ und lösten solche Situationen am Ende meist mit  einer spontanen Umarmung oder großem Grinsen im Gesicht auf.

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Starkes Team. Frisch ausbalanciert 😉

Doch heute hatten wir uns irgendwie verharkt. Kein Wunder nach der intensiven emotionalen Phase, wie wir sie gerade in Nicaragua gehabt hatten. Es war nur eine Frage der Zeit, wann wir versuchen würden, die Symbiose aufzulösen. Eigentlich wollten wir gegen Mittag den Bus an die Karibikküste nehmen und vorher einen Streifzug durch San Jose machen. Doch nun war Nina dabei, unseren Technikbeutel aufzuteilen, um alleine weiterzureisen. Sie wirkte zumindest sehr konsequent in ihrem Tun. Die Zeit für ein Friedensangebot meinerseits war gekommen. Doch das ist nicht immer einfach. Schon mehrmals war ich drauf und dran gewesen, sie einfach in den Arm zu nehmen und mich zu entschuldigen. Doch gleichzeitig hatte ich diese trotzige Stimme in mir, die “dann lassen wir das Ding an die Wand fahren, soll sie sehen, was sie davon hat” sprach. Ich hatte schon mehrmals den Zeitpunkt verpasst, Ninas Vorlage für Frieden aufzunehmen. Die Luft im Zimmer war aufgebraucht, wir waren aufgebraucht.

Aber dann war es natürlich wieder mal viel einfacher den Streit zu stoppen, als ich zuvor geglaubt hatte. Wir mussten beinahe loslachen, als wir merkten, was für ein Schauspiel wir uns gerade geliefert hatten. Nina meinte, es sei eben manchmal echt erdrückend, wenn sie in solchen Momenten – aus Sicherheitsgründen – nicht einfach mal aus der Tür gehen kann, um mich mal zwei Stunden nicht zu sehen. Das Aufteilen unserer Kameraausrüstung war dann quasi ihre Stellvertreter-Aktion. Und diese Maßnahme zeigte ja auch Wirkung bei mir.

Wenig später saßen wir inklusive unseres frisch ausgehandelten Waffenstillstands im Taxi und fuhren mit zwei Stunden Verspätung ins Stadtzentrum. Auf der Fahrt bekamen wir erst einmal mit, dass uns der Taxi-Fahrer am Vorabend auf dem Weg vom Busbahnhof zum Guesthouse übers Ohr gehauen hatte und seinen Zähler so eingestellt hatte, dass wir das Doppelte gezahlt hatten. Nun gut, shit happens – gerade heute.

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Zentrum von San Jose.

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Undefinierbares Monument in Parque Central..

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Das Teatro National.

Das Zentrum war schnell erreicht. San Jose ist überschaubar und klein, hat nur etwas mehr als 350000 Einwohner. Noch Ende des 19. Jahrhunderts war es ein Dorf, stand im Schatten der damaligen Hauptstadt Cartago, weshalb die Stadt auch keine Kolonialbauten zu bieten hat. Schnell standen wir vor dem schönsten Gebãude, dem Teatro National, das die Kaffeebarone Ende des 19. Jahrhunderts sponsorten. Eine bekannte spanische Sängerin hatte zuvor auf einer Tournee durch Mittelamerika in San Jose kein Konzert geben können, weil ein geeigneter Saal fehlte. Das wollten die stolzen Ticos (so nennt man die Einwohner Costa Ricas, weil sie bei Verkleinerungsformen statt -tito, -tico sagen) nicht auf sich sitzen lassen und finanzierten den Bau mit einer Kaffeesteuer. Ansonsten gab es nicht viel anzuschauen. Wir mochten das städtische Treiben trotzdem. Besonders auffällig: die Frauen, die auf eine extrem selbstbewusste Weise ihre Formen und Kurven präsentierten. Wir staunten. Kein Rock, keine Hose, kein Top schien ihnen zu eng oder zu klein. Modisch oftmals an der Schmerzgrenze, bewunderten wir den Mut und das Auftreten. Eine Stunde saßen wir in einem Cafe direkt vor dem Postamt und genossen das bunte Defile.

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Nina vor dem Postamt in San Jose.

Mittlerweile hatten wir uns entschieden, dann eben den letzten Bus um vier Uhr nach Puerto Viejo de Talamanca zu nehmen. Dort wollten wir Kalle, unseren Bekannten aus München für einige Tage besuchen. Doch als wir unser Ticket für den vierstündigen Trip buchen wollten hieß es: fully booked! Noch eine Nacht in San Jose? Nicht wirklich verlockend. Dann bekamen wir das Angebot einen “de pie” zu erwerben, einen Stehplatz. Nina und ich schauten uns kurz an und nickten. Die Aussicht, fast 5 Stunden im Bus zu stehen, war zwar nicht rosig, aber in San Jose zu bleiben, war für uns keine Alternative. Instinktiv stellten wir uns beim Buseinstieg an. Alle stiegen ein. Wir waren die Ersten in der “de pie”-Schlange. Und konnten unser Glück kaum fassen, als tatsächlich zwei Plätze leer blieben und wir dadurch nachrückten. Die hinter uns wartenden anderen sechs “de pie”-Leute schauten neidisch, sie gingen leer aus und lagen oder saßen während der langen Fahrt im schmalen Mittelgang. Inzwischen waren wir zwei wieder das gewohnte „Räuberteam auf Reisen“. Wir schauten beeindruckt aus dem Fenster. Die Vielfalt dessen, was wir zu Gesicht bekamen, war schlichtweg grandios. Vulkanlandschaften, tropischer Dschungel, saftig grünes Weideland, die karibische Küste und dies waren nur einige der unterschiedlichen Klimazonen in Costa Rica. Kein Land der Welt vereint solch viele Unterschiede auf derart kleinem Gebiet. Die verantwortlichen Politiker erkannten früh den Schatz ihres Landes. 30 Prozent des costa-ricanischen Gebiets sind zum Nationalpark oder Reservat erklärt worden. Weltrekord! Politische Stabilität und sicheres Reisen hat das Land zum touristischen Hotspot aufsteigen lassen.

Und das alles ohne eine eigene Armee. Oder vielleicht deshalb? Die 1948 erklärte Neutralität war dem Land jedenfalls gut bekommen, gerade angesichts aller Probleme in den Nachbarländern. Und dann waren wir endlich da. Angekommen im karibischen Paradies.

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Bunt, hell, warm, schön: Puerto Viejo.

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Kalle aus München, der uns herzlichst aufnahm.

Und ganz relaxt stand da Kalle am Bus, abends im Dorfzentrum von Puerto Viejo. Braungebrannt lehnte er am Jeep und empfing uns herzlich. Nina hatte ihn bei unserem Stamm-Griechen in München kennengelernt, wo er uns immer wieder nach Costa Rica einlud. Dort lebt er inzwischen die meiste Zeit des Jahres und ist im totalen Karibikmodus – quasi tiefenentspannt. Tja und nun waren wir da, obwohl wir bis dahin noch nicht einmal seinen Nachnamen kannten. Auch ein Abenteuer. Irgendwann bogen wir mit dem Wagen auf einen kleinen, steinigen und abenteuerlichen Dschungelpfad ab und fuhren zehn Minuten bis wir einsam auf einem Hügel in Kalles Reich standen.

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Kalles Reich hoch droben.

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Wie schön der Anblick und die Geräusche des Dschungels waren, haben wir vor allem am nächsten Morgen genossen. Von oben schauten wir in ein wunderschönes Tal: saftiges Grün, Papageien und Tucane flogen zwischen den Bäumen umher, Brüllaffen machten ihre typischen Geräusche. Jurassic Park pur. Eine Oase des Rückzugs, mit einem lauen Lüftchen…

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Der Blick ins Tal.

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Schlösschen in Holz.

Von diesem magischen Ort aus erkundeten wir täglich die wunderschönen Strände der Umgebung und das kleine, charmante Fischerdorf, das sich trotz einiger Backpacker eine große Authentizität bewahren konnte. Die lebte vor allem von den Nachfahren jamaikanischer Einwanderer, die mit ihrem Aussehen, den überall auftauchenden Rastafari-Farben und der Reggae-Musik den Ort erst zu der karibischen Idylle machten, die alle lieben.

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Kalle kennt das ganze Dorf, spricht fließend Spanisch und hat uns mit den tollsten Plätzen vor Ort vertraut gemacht: Der leckerste Kaffee, das kühlste Bier, die besten Cocktails, die heißeste Salsa-Bar, die coolsten Surfer, die schönsten Strände…  Wir bekamen schlichtweg nicht genug von den karibischen Stränden mit dem warmen, türkisfarbenen Wasser, dem üppigen Regenwald, der sich bis dicht ans Meer hinwand. Affen, Faultiere, Schmetterlinge, Tucane, Papageien, Warane – alles live in kürzester Distanz.

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Faultier bei der Arbeit.

Für einige Tage zogen wir auch in den Ort, um mit dem Fahrrad die Umgebung noch besser kennenzulernen, waren aber happy, als wir danach wieder in das Dschungelparadies von Kalle zurückdurften und in seiner tollen Küche herrliche Dinners zauberten.

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Einfach “Pura vida”. Der Satz, den jeder Costa-Ricaner am Ende aller Gespräche sagt. Es bedeutet soviel wie: „Okay, passt“, „So ist das Leben”, “Nimm es locker” oder auch “Alles Gute” und drückt das lockere Lebensgefühl der Bewohner aus, das wir an den Stränden und in den Salsa-Bars beobachten konnten.

Wir waren jedenfalls heilfroh, dass wir das kleine Land auf dem Weg nach Panama nicht außen vorgelassen hatten, so wie es ursprünglich mal angedacht war. Und: Nach fünfeinhalb Monaten waren wir immer noch gemeinsam unterwegs. Darauf waren wir echt stolz. Keine Selbstverständlichkeit – das hatten wir spätestens in San Jose kapiert… 😉

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Cocles-Beach in Puerto Viejo.

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Überschaubar: der Hafen.

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Surfer vor der Arbeit.

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Einfach schön: Arrecife-Beach.

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Hübsch anzusehen: das türkisfarbene Wasser.

 

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Nina und Kalle am Strand.

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Abschied von Kalle.

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Auf nach Panama!

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