Es ist spät am Abend als wir in Managua landen. Eine warme Brise empfängt uns. Es sind um 10 Uhr immer noch 28 Grad. Endlich wieder! Wir tanzen. Flugs entledigen wir uns der Hoodies und Long-Sleeves. Draußen vor dem Flughafen wartet Pedro. Er vermietet zusammen mit seiner Frau Ruth eines seiner Zimmer in Granada über Air-Bnb und hatte sich bereit erklärt, uns für 40 Dollar abzuholen. Auf der Strecke Managua-Granada kam es schon mehrmals nachts zu Überfällen, wie wir gelesen hatten, so dass wir über das Angebot recht froh sind.

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Pedro nimmt uns strahlend in Empfang. Er ist klein – so wie die meisten Menschen in diesem Land, trägt Brille und hat eigentlich zu jeder Zeit ein schelmisches Grinsen im Gesicht. Er hat einen Pappbecher Kaffee in der Hand und er wirkt trotz der späten Zeit so, als sei ihm die Abwechslung an diesem Abend nicht unrecht. Und das, obwohl „diese Idee mit Airbnb“ von Tochter und Frau komme, wie er betont. In Nicaragua scheint es so wie in vielen anderen Macho-geprägten Ländern: zu Hause haben Frau und Mutter das Sagen. Doch Pedro hat in seinem Leben schon einiges hinter sich gebracht: Zwei Jahre nach der Revolution der Sandinisten 1979 floh er mit seiner Ruth mittellos in die USA, wo sie sich ein neues Leben aufbauten und es mit ihren drei Kindern zu Wohlstand brachten. Den genießen sie nun beide seit Jahren in ihrer Heimatstadt Granada, dort, wo sie sich 1972 kennenlernten. Ihre Kinder blieben in den USA. Das Vermissen ist also geblieben. Viele Jahre war es ihr Land, nun ist es die Großfamilie in San Francisco.

Pedro bringt uns zu seinem Wagen, dessen Marke undefinierbar ist, aber „Baujahr 1979“ ist, wie er stolz erzählt. Gurte gibt es zwar nicht, dafür hat Pedro den Wagen am Morgen noch sauber gemacht. Er weiß, was sich gehört. Die Fahrt nach Granada dauert etwas mehr als 30 Minuten und wir erfahren bereits eine Menge über Pedro und Nicaragua, das kleine zentralamerikanische Land mit dieser Geschichte, die einen einfach in den Bann schlägt.

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Die Historie liest sich wie ein spannender Abenteuerroman. Stundenlang könnte man die haarsträubenden Anekdoten aus der Vergangenheit Nicaraguas zum Besten geben. Ein paar Beispiele gefällig? 1909 ist es so, dass Machthaber Zelaya unter dem Druck der USA zurücktreten muss; die machen daraufhin den Buchhalter eines nordamerikanischen Bergbauunternehmens zum Präsidenten (!), der daraufhin erst einmal den USA die direkte Kontrolle über die Zolleinahmen überlässt und Millionenkredite bei „big brother“ aufnimmt, dazu für 20 Jahre die US-Marines ins Land holt. Für die Amis ein guter Deal…

Oder 1934, als Guerillaführer Sandino nach dem Abzug der US-Soldaten die Waffen niederlegt und auf einem feierlichen Bankett von Präsidentenneffen Anastasio Somoza durch einen Schuss in den Rücken ermordet wird. Klar, dass dieser Somoza drei Jahre später seinen Onkel wegputscht, aber selbst 1956 von einem Dichter namens Perez ebenfalls auf einem Bankett umgebracht wird. Der ältere Sohn folgt als Präsident, wird 1963 aber vergiftet. Im Verdacht dafür steht bis heute sein jüngerer Bruder Anastasio Somoza Debayle, der das Land schließlich in den Ruin und den Bürgerkrieg führt. Das Erdbeben 1972, das Managua vollständig zerstört und 10 000 Menschen tötet, nutzt er gnadenlos aus. Er unterschlägt 500 Millionen US-Dollar an Hilfsgelder; bis heute ist die Stadt nicht wiederhergestellt. Dazu lässt er absichtlich das gut funktionierende Schienensystem verfallen, um teure Bus-Konzessionen und die dafür notwendigen Mercedes-Benz-Busse (für die er das Verkaufsmonopol hatte) an den Mann zu bringen. Heute fährt kein Zug mehr in Nicaragua.

„Ach, uns ging es doch sehr gut“, sagt Pedro aber zu der Zeit vor 1979, jenes Jahr, als Somoza vor den Sandinisten flüchtet. Pedro arbeitete als Agraringenieur für die Somoza-Regierung, verdiente damals um die 2500 Dollar, ein Vermögen. Dass er von den neuen sandinistischen Machthabern, aber auch von neidischen Nachbarn drangsaliert wurde, ist da fast logisch. Pedro lässt jedenfalls kein gutes Haar an den Sandinisten. Korrupt, unfähig, machtbesessen. Doch dass die beinahe zehnjährige Herrschaft nach der Machtergreifung nicht den erhofften Erfolg mit sich brachte, hat auch viel mit den USA zu tun. Die fingen Anfang der 80er-Jahre an, die Oppositionellen mit Geld und Waffen zu unterstützen, um das linke Regime der Sandinisten zu stürzen. Was folgte war ein jahrelanger Bürgerkrieg, der 30 000 Menschen das Leben kostete. Dazu versuchten die Amerikaner das linke Regime mit einem Embargo und hohen Kreditraten durch den IWF zu schwächen. 1990 verloren die Sandinisten die Wahlen und gaben die Macht friedlich ab, was bis heute als große historische Leistung gilt. Doch das Land war am Boden. Bis heute hat es sich nicht erholt. Nicaragua gilt als das ärmste Land Mittel- und Südamerikas. Eine Million Nicaraguaner versuchen in den USA und Costa Rica ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

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Ruth, Nina und Pedro mit Hund Napoli

Von ihnen schafft kaum einer das, was Ruth und Pedro erreichten. Mitten in Granada, keine drei Minuten von der Kathedrale entfernt, haben sie ein Stadthaus gekauft und wunderschön renoviert. Dort trifft man sie jeden Tag zur Dämmerung. Wie viele ihrer Landsleute lieben sie es dann, direkt auf dem Bürgersteig vor ihrem Haus auf Schaukelstühlen zu sitzen, zu knabbern, laut Musik zu hören, mit den Nachbarn zu plaudern und dem Treiben der Straße zuzuschauen. Wir lernten schnell: Schaukelstühle und Musik – für die „Nicas“ zwei Sachen, die mehr als unentbehrlich sind. Wir liebten es, wenn Ruth morgens um neun die Boxen anwarf, sich mit einer Tasse Kaffee auf den Schaukelstuhl setzte und den schmachtenden Fetzen lauschte, während Pedro in wichtigen Missionen stets für Erledigungen in die Stadt musste.

In Granada ist von der generellen Armut der Menschen auf den ersten Blick erst einmal kaum etwas zu sehen. Die im 16. Jahrhundert gegründete Stadt hat schillernde Kolonialbauten zu bieten, pittoreske Flaniermeilen und schicke Cafes. Doch wer das Zentrum verlässt und ein wenig in der Stadt umherschlendert, noch ohne in die ganz gefährlichen Viertel zu gehen, der erlebt den harten Alltag der „Nicas“ hautnah. Trotz alledem verlieben wir uns in die Stadt. Wir genießen Flair, aber vor allem die Farben. Lila, pink, blau, grün, rot – die Häuserfassaden sind einzige Hingucker und dann dieses Gelb der Kathedrale. Ein Gelb, das ich für immer vor Augen haben werde, wenn man an diese Farbe denkt.

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Die Kathedrale von Granada.

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Wir bleiben über eine Woche in der Stadt. Zu tun gibt es einiges: Wir nehmen Spanisch-Stunden, sind mit den Kajaks im nah gelegenen Nicaragua-See in den Las Isletas unterwegs, machen eine Tour zum Laguna de Apoyo, einen Kratersee, der das sauberste Wasser Mittelamerikas zu bieten hat oder hängen einfach nur herum und beobachten das Treiben.

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Spanisch-Lehrer Roger.

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Die Laguna de Apoyo.

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Klarstes Wasser.

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Brothers in Granada.

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Marktzeit.

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Viele Touren schlagen wir aus, wir merken in Granada, dass wir nicht mehr jedes touristische Highlight mitnehmen müssen. Ja, nach beinahe fünf Monaten stellt man fest, dass man schon eine Menge gesehen hat. Das Schönste an Nicaragua: ihre Menschen. All jene, denen wir begegnen, sind freundlich, hilfsbereit und warmherzig. Ihre Art und Weise berührt uns. Und selbst das Essen ist besser als der Ruf. Das von vielen verschmähte gallo pinto (Reis und Bohnen) schmeckt uns selbst nach einer Woche noch immer, dazu gibt es viele Geschichten mit Tortillas, Burritos oder Fajitas, zudem leckere Fisch- und Eintopfgerichte.

Nach acht Tagen ziehen wir dann weiter. Wir wollen auf die Insel Ometepe, die mitten im Nicaragua-See liegt. Es geht am Morgen zum Busbahnhof in Granada, der in diesem Falle ein kleines Schotterfeld ist. Für drei Dollar fahren wir bis Rivas, 70 KM entfernt, von wo aus, wir dann weiter zum Fährhafen nach San Jorge an den See fahren wollen. Die lokalen Busse werden auch „chicken busses“ genannt. Wir verstehen während der Fahrt, woher dieser Name kommt. Man sitzt eingepfercht, eben wie Hühnchen. Oder man steht, so wie ich, nachdem ich sehr gentleman-like meinen wertvollen Sitzplatz für eine fünffache Mutter hergab. Doch dafür hatte Nina viel Spaß mit der Großfamilie neben sich.

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Als wir von der Anlegestelle aus zum ersten Mal Ometepe sehen sind wir beeindruckt. Es ist die größte Süßwasservulkaninsel der Welt und was sie dazu so besonders macht sind die zwei Vulkane, die fast immer einen Hut von Wolken um die Bergspitze tragen.

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Drei Nächte verbringen wir auf einer Finca in einer grandiosen Naturlandschaft mit Blick auf den See und das Festland. Das Leben auf Ometepe ist noch mal um einiges gemächlicher als im Rest des Landes. Wer nicht die 1800 und 1300 Meter hohen Vulkane besteigt (so wie wir), der schließt sich der Langsamkeit des allgemeinen Seins an.

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Das Inselleben findet in einer eigentümlichen Ruhe statt. Es gibt kaum etwas zu tun. Die Menschen, von denen es nicht allzu viele gibt, leben einfach und sind nochmals freundlicher als die Nicas auf dem Festland. Es ist ein Paradies für die, die für sich sein wollen.

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Uns wird es nach vier Tagen dennoch zu einsam auf der abgelegenen Finca. Auch, weil sich trotz des meerartigen Seegangs und der vielen Bade-Möglichkeiten auf Ometepe bei uns nicht recht die Lust einstellen will, zu plantschen. Die Strände sind trotz aller Idylle nicht sehr einladend.

Das ist in San Juan del Sur ganz anders. Der Ort an der Pazifikküste gilt als der touristische Hotspot in Nicaragua. Berühmt macht ihn die zweit größte Jesus-Statue der Welt, die über der Bucht thront, die unzähligen schönen Strände, die Surferwellen und der Sunday-Funday, an dem partywillige Traveler aus der ganzen Welt abfeiern. Doch wir kommen ja wegen der Strände.

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Nach einer Nacht im Dorm im größten Hostel vor Ort ziehen wir raus an den Playa Maderas. Er gilt als schönster Strand vor Ort und wir werden nicht enttäuscht. Da unsere Unterkunft sich als entzückend entpuppt und wir recht günstig nur zehn Minuten vom Strand entfernt wohnen bleiben wir statt der anvisierten drei Tage gleich neun. Unsere Top-Drei-Aktivitäten dort: Meer glotzen, Surfer glotzen und Sonnenuntergänge glotzen…

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Nach neun Tagen Strand (und viel Wind) entscheiden wir, entgegen aller vorherigen Voraussagen, dann doch noch mal nach Costa Rica zu reisen. So viel vorweg: Es war eine der besten Entscheidungen unserer Reise…

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