Ob jung oder alt, arm oder reich – wir möchten wissen, was für die Menschen Sinn macht im Leben. Was vereint oder unterscheidet sie – egal, wer sie sind oder wo sie leben?

Was macht sie glücklich? Wovor haben sie Angst? Was bedeutet Erfolg für sie? Was halten sie von der Liebe? Wie denken sie über Familie? Wovon träumen sie?

 

Raj, 23 Jahre alt, Schmuckverkäufer am Strand, lebt in Gokarna, Südindien, über…

Familie

Ich liebe sie. Wenn ich an sie denke, habe ich ein sehr schönes Gefühl. Ich hoffe, dass das immer so bleibt. Ich möchte immer ein Teil von ihnen sein. Ich will Geld für meine ganze Familie verdienen. Wir teilen und werfen alles in einen Pott. Sogar das Zimmer teilen wir, also ich, meine zwei Geschwister und meine Eltern. Das ist Familie. Wenn ich an einem Tag 1000, 2000 Rupien (15-25 Euro!) verdiene, dann würde mir das eigentlich 3-4 Tage reichen. Ich könnte zu Hause bleiben, mich ausruhen, aber ich gehe trotzdem jeden Tag an den Strand, weil ich meine Familie glücklich machen will. Ich will nicht meinen Weg alleine gehen und bemühe mich um ein gutes Verhältnis zu ihnen. Es wäre schlimm für mich, wenn sie böse mit mir wären. Mit einem guten Karma lässt es sich viel besser leben. Deshalb wünsche ich mir auch, dass sie später meine Frau lieben, meine Kinder und mit mir glücklich sind.

Angst

Wenn ich böse Sachen denke, also zum Beispiel, wenn ein Cafe-Besitzer mich schlecht behandelt, weil er nicht will, dass ich an seine Gäste Schmuck verkaufe, dann macht mir das Angst. Ich will nur gute Sachen denken. Deshalb gehe ich Problemen aus dem Weg. Einige Inder sind böse mit mir, sie mögen keine Verkäufer. Sie sind voller Hass. Das macht mir Angst und ich muss aufpassen. Sonst machen sie meine Ketten kaputt, das wäre schlimm. Das wäre so, als wenn sie mein Herz kaputtmachen würden. Denn es kostet mich so viel Arbeit und Zeit, diese Ketten zu machen.

Komisch. Ich habe zum Beispiel keine Angst, irgendwann mal nichts zu verkaufen. Es gibt ja immer eine Lösung. Neulich war so ein Tag, da habe ich kaum was verkauft. Ich habe dann ein indisches Paar getroffen. Sie wollten den Strand wechseln, aber es war schon dunkel und sie kannten den Weg über den Hügel durch den Dschungel nicht. Also habe ich sie begleitet, auch weil ich mein Handy als Lampe benutzen konnte. Ich habe sie an den anderen Strand gebracht und dabei gemerkt, wie angespannt, sie waren, weil ich dunkle Haut habe und sie nicht wussten, ob sie mir trauen konnten. Für mich war es selbstverständlich ihnen zu helfen, das ist meine Pflicht und gut für mein Karma. Sie fuhren am nächsten Tag zurück nach Bangalore. Sie riefen mich von dort an und sagten, wenn ich irgendwas brauche, dann kann ich mich jederzeit melden. Das ist mein Karma. Selbst wenn du kein Geld hast, kannst du immer was geben, z.B. indem du hilfsbereit bist. Aber man muss wissen, dass jede gute Tat auch eine Schlagseite hat: Indem ich dem Paar half, habe ich etwas Gutes gemacht. Gleichzeitig habe ich aber einem Rikscha-Fahrer die Arbeit weggenommen, verstehst du?

Raj bei der Arbeit am Strand.

Raj bei der Arbeit am Strand.

 

Liebe

Liebe ist seltsam. Sie macht dein Herz sehr weich, reinigt deinen Körper und kann jeden Menschen ändern. Wenn ich eine hübsche Frau sehe, dann fühle ich, wie mein Herz weich wird. Wenn du Menschen liebst, wirst du selbst auch schöner.

Vater und Mutter lieben einen immer. Diese Liebe kenne ich, aber eine Frau zu lieben, das war neu für mich. Ich fühlte in meinem Herz „wow“- so einen Druck. Ich will mehr und mehr dafür tun, um noch mehr von diesem Gefühl zu bekommen. Wenn ich heirate, dann hoffe ich, dass dieser Druck ein Leben lang bleibt. Das wünsche ich mir.

Freiheit ist in der Liebe sehr wichtig. Keiner gehört jemanden. Jeder soll eine Wahl haben. Ich mag keine Regeln. Wenn sich also meine Frau nicht mehr wohlfühlt mit mir – dann würde ich ihr immer die Freiheit geben wollen, dass sie das tut, was sie tun will. Wenn sie mich liebt, dann soll sie bleiben, liebt sie mich nicht, dann soll sie woanders ihr Glück suchen. Du musst sie respektieren, wie sie ist. Liebe ist das Wichtigste im Leben und für die Zukunft. Um ein guter Mann zu werden, brauche ich Liebe und muss Liebe geben. Und das beziehe ich nicht nur auf Frauen, sondern auf alle Menschen. Liebe ist Karma. Denn sie sagt, dass du jeden und alles zu respektieren hast. Wenn du das tust, dann wird dein Leben gut.

Liebe hat für mich übrigens nichts damit zu tun, dass man den einen Gott liebt und den anderen nicht. Zu sagen, mein Weg ist der einzige richtige, deshalb liebe ich nur diesen Gott, nein das ist nicht die Art von Liebe, die ich meine. In Indien gibt es Moslems, Christen, Hindus und noch viel mehr. Wenn sie sich alle lieben würden, gäbe es einen riesigen Baum, der Früchte gibt.

Früher waren meine Eltern Hindus. Aber sie hatten genug von den Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Religionen. Sie verstanden nicht, dass man sich wegen Kleinigkeiten umbringt, also haben sie die Religion aufgegeben und nie über dieses Thema mit mir gesprochen. Das hat mir eine große Freiheit gegeben. Für mich gibt es nicht den einen Gott, der mir Kraft gibt. Ich spüre Kraft durch die Natur, ich freue mich über Menschen, die nett sind. Sie sind zwar nicht Gott, sie sind Menschen. Aber sie sind wie ein Geschenk, wenn sie gut zu mir sind. Ich treffe oft nette Menschen. Das hat auch mit einem guten Karma zu tun.

Im Gespräch mit Nina.

Im Gespräch mit Nina.

Glück

„Life is simple“ – I work at the beach. I am happy.“ Ich bin ein Verkäufer seit ich acht bin, verkaufe also seit 14 Jahren Schmuck am Strand und bin sehr glücklich, meinen Job hier zu haben. Damals habe ich mit Blumen angefangen, dann irgendwann Ketten und Schmuck angefertigt. Ich kenne nichts anderes und ich komme jeden Tag gerne an den Strand, weil jeder Tag anders ist. Ich bin auf das Wesentliche konzentriert und tue viel für mein Karma. Es ist eine Frage der Balance. Wenn ich etwas Schlechtes tue, dann wirkt sich das aus. Am nächsten Tag kann dann etwas passieren, was nicht gut für mich ist. Wenn ich Gutes tue, auch wenn ich nichts habe, dann kommt das Gute zurück zu mir und ich bekomme viel.„Feelings are more important than money“.

Träume

Meine Zukunft nähert sich ja ein Glück langsam. Ich würde gerne mein eigenes Haus bauen. Das ist mein Traum. Nicht zu groß, nicht zu klein, mit vielleicht fünf Zimmern. So, dass jeder in seinem eigenen Zimmer schlafen kann. Jetzt haben wir einen großen Raum: Küche, Wohnzimmer und Schlafzimmer für uns alle. Wenn ich heirate, brauche ich ein eigenes Haus mit Zimmern für mich, die Kinder, meine Eltern und Gäste. Dazu wünsche ich mir ein Wohnzimmer mit einem großen Fernseher. Denn jetzt haben wir einen Fernseher, der immer kaputt ist. Und ich möchte ein Stück Land haben, auf dem ich mich um meine Betelnussbäume kümmere. Aber für das alles brauche ich Geld von der Bank. Doch sie gibt mir nicht einfach so Geld, deshalb muss ich vorher Geld sparen. Ein eigener Shop kann mir dabei helfen. Ich habe einen Brahmanen kennengelernt, der mir einen Raum geben möchte, der direkt an den Tempel grenzt, wo er betet. Mein Karma entscheidet, ob es klappt. …Vielleicht wartet auch woanders eine Chance. So ist das Leben.

Erfolg

Weißt Du, ich bin nie zur Schule gegangen. Ich musste ja am Strand mein Geld verdienen. Aber ich bin stolz darauf, dass ich mir Englisch selbst beigebracht habe, durch die Gespräche mit den Touristen. Das ist toll und ein Erfolg für mich. Sonst könnten wir zum Beispiel jetzt nicht dieses Interview machen.

Aber Erfolg ist relativ. Mein Cousin ist eigentlich sehr erfolgreich. Er hat viel Geld. Er arbeitete sehr hart und spart alles an. Aber er ist kein Vorbild für mich. Er haut Leute über das Ohr, verkauft gefälschte Gold- und Silbermünzen. Von seinem Geld gibt er nichts ab, nicht seinen Eltern, nicht seiner Familie. So einen Erfolg will ich nicht. Ich möchte einen ehrlichen Erfolg, einer, der natürlich ist und den ich teilen kann: Eines Tages werde ich mein Haus haben, meinen Shop und meine Betelnussbäume. Aber es wird noch dauern.

Stets positiv: Raj in seinem Element.

Stets positiv: Raj in seinem Element.

Share: